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Samstag, 10. August 2024

Nietzsches Wanderschaft


Friedrich Nietzsche

1876 begannen mit Nietzsches Beurlaubung die Jahre seiner unablässigen Wanderschaft. 1878 gab Nietzsche wegen unerträglicher Kopf- und Augenschmerzen sein Lehramt in Basel auf. Er wurde danach zum »freien Denker« und zum umherziehenden philosophierenden Nomaden. Getrieben von seinen Krankheiten auf der ständigen Suche nach für ihn optimalen Klimabedingungen, reiste er nun viel und lebte von 1879 bis 1889 als freier Autor an verschiedenen Orten.


Friedrich Nietzsche


Immer wieder ist der Nomade Nietzsche auf seiner Odyssee durch Mittel- und Südeuropa auf der Suche nach einem Ort, an dem es sich für ihn, den Augen-, den Magen-, den Migränekranken, den an Herz und Kopf Leidenden, endlich, endlich leben ließe. Jeder neue Ort soll der einzig wahre, der heilende, der erlösende Ort sein mit dem reinen, wolken- und gottlosen Himmel, den Nietzsche braucht. Und jeder Ort entpuppt sich als der falsche - nur der unablässige Wechsel von jäh aufkeimender Hoffnung und jäher Enttäuschung ist beständig.

Nietzsches Nomadenleben ist im Gegensatz zu den magischen Beschwörungen seiner Philosophie der "Ewigen Wiederkunft des Gleichen" eine einzige Nichtwiederkehr. Auch wenn die Zyklik der Bewegung zwischen Alpen und Mittelmeer sich jahreszeitlich bedingt erneuert - zu Hause ist Nietzsche nirgendwo und nie. Nur in Sils-Maria, daneben in Genua, Venedig und Nizza, findet er eine dauerhaftere Bleibe.

Erst der Wahn wird ihn buchstäblich stationär machen. Sein Leben ist ein andauerndes Leidensleben, der dunkle Basso continuo eine unablässige Klage.

Weblink:

Ich leide an zerrissenen Stiefeln - www.zeit.de

Friedrich Nietzsche - www.die-biografien.de

Montag, 5. August 2024

Frankfurter Schule vor 100 Jahren gegründet

Frankfurter Schule

Die Frankfurter Schule steht für ein Spektrum von Intellektuellen, die langfristig oder zeitweilig dem 1924 in Frankfurt am Main gegründeten Institut für Sozialforschung und dessen Projekt einer kritischen Theorie der Gesellschaft verbunden waren.

Als Frankfurter Schule wird eine Gruppe von Philosophen und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen bezeichnet, die an die Theorien von Hegel, Marx und Freud anknüpfte und deren Zentrum das 1924 in Frankfurt am Main eröffnete »Institut für Sozialforschung« war. Dazu gehören Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Walter Benjamin und Jürgen Habermas, Herbert Marcuse und Erich Fromm, Oskar Negt und Axel Honneth. Sie werden auch als Vertreter der dort begründeten »Kritischen Theorie« begriffen.


Die Bezeichnung »Kritische Theorie« geht auf den Titel des programmatischen Aufsatzes »Traditionelle und kritische Theorie« von Max Horkheimer aus dem Jahre 1937 zurück. Als Hauptwerk der Schule gilt das von Horkheimer und Theodor W. Adorno 1944 bis 1947 gemeinsam verfasste Buch »Dialektik der Aufklärung«, dessen Essay-Charakter sie mit dem zurückhaltenden Untertitel »Philosophische Fragmente« bezeichneten.


In der Frankfurter Schule versammelten sich undogmatische Marxisten, wertkritische Kapitalismuskritiker, die davon ausgingen, dass in der marxistischen Orthodoxie kommunistischer Parteien oft nur noch eine beschränkte Auswahl der Ideen von Karl Marx wiederholt werde und speziell die philosophischen Implikationen ignoriert würden. Vor dem historischen Hintergrund des Scheiterns der Revolutionen der Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg und des Aufstiegs des Nationalsozialismus in einer zivilisierten Nation begannen Horkheimer und Adorno die Marx'schen Gedanken daraufhin zu untersuchen, inwiefern sie zur Analyse von sozialen Verhältnissen geeignet seien, wie sie zu Marx’ Lebzeiten noch nicht bestanden hatten. Dabei griffen sie auf die Ergebnisse anderer zeitgenössischer wissenschaftlicher Disziplinen zurück. Von besonderer Bedeutung waren hierbei die Soziologie Max Webers und die Psychoanalyse Sigmund Freuds, wobei letztere als Mittler zwischen Basis und Überbau eintrat.

Die Frankfurter Schule verbindet Ideologiekritik mit Gesellschaftskritik unter Verwendung der Dialektik als Methode.

Die Betonung der kritischen Komponente der Theorie entsprang den Bemühungen, die Grenzen des Positivismus, des Dialektischen Materialismus und der Phänomenologie zu überwinden. Die Frankfurter Schule griff hierzu auf die kritische Philosophie Kants und seiner Nachfolger im deutschen Idealismus zurück. Insbesondere Hegels dialektische Philosophie mit ihrer Betonung von Negation und Widerspruch als inhärenten Eigenschaften der Realität war dabei von Bedeutung, zumal seit der Veröffentlichung der Marxschen ökonomisch-philosophischen Manuskripte und seiner Deutschen Ideologie in den 1930er Jahren, die Kontinuität seines Denkens mit Hegel offenbar wurde. Hier schlossen die Frankfurter an Georg Lukács an.

Der erste Forschungsschwerpunkt bestand in der Untersuchung sozialer Phänomene, die vom klassischen Marxismus als Teil des Überbaus oder der Ideologie angesehen werden: Persönlichkeit, Familie, Autoritätsstrukturen (die erste Veröffentlichung des Instituts trug den Titel »Studien über Autorität und Familie«) und die Bereiche Ästhetik und Massenmedien. Die Studien sahen mit Sorge auf die Möglichkeit des Kapitalismus, die Voraussetzungen eines kritischen, revolutionären Bewusstseins zu zerstören.

Die Auseinandersetzung mit dem Wesen des Marxismus selbst bestimmte den zweiten Schwerpunkt des Instituts. Diesem Zusammenhang entsprang das Konzept einer kritischen Theorie.

Die zweite Phase der kritischen Theorie der Frankfurter Schule kristallisiert sich in zwei Werken, die zu Klassikern des 20. Jahrhunderts wurden: Die »Dialektik der Aufklärung« von Horkheimer und Adorno sowie die »Minima Moralia« Adornos. Beide Werke entstanden während des Exils der Autoren in den USA zur Zeit des Nationalsozialismus. Obwohl beide an der marxistischen Analyse festhalten, zeichnet sich in den Werken eine Akzentverlagerung der Kritischen Theorie ab. Aus der Kritik des Kapitalismus, wie sie Marx leistete, wird zunehmend eine Kritik der reinen Naturbeherrschung und ihrer philosophischen Vordenker.

Horkheim und Adorno kehrten die Aufklärung gegen sich selbst, zerlegen sie und zeigen ihre dunklen und dunkelsten Seiten. Sie sagen nicht nur, moderner Fortschrittsglaube sei kalt und würde zu Katastrophen führen, sie zeigen auch sehr genau, weshalb dem so ist und wo bereits am Anfang der Aufklärung, als sie nach und nach die Mythen ablöste, ihre Grundproblem verankert liegt.

In den 1960er Jahren erhob Jürgen Habermas die erkenntnistheoretische Diskussion in seiner Schrift »Erkenntnis und Interesse« auf eine neue Ebene. Er identifizierte kritisches Wissen als auf Prinzipien beruhend, die sich sowohl von denen der Naturwissenschaften als auch der klassischen Philologie durch ihre Orientierung an Selbstreflexion und Emanzipation unterschieden. Damit gab er den Versuch der alten Frankfurter Schule auf, diesen Momenten in der Vernunft überhaupt einen Ort zuzuweisen.

Literatur:
https://images-eu.ssl-images-amazon.com/images/I/41pa-1rAa1L._AC_US218_.jpg
Dialektik der Aufklärung
Dialektik der Aufklärung
von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno

Die Frankfurter Schule
Die Frankfurter Schule
von Rolf Wiggershaus

Geschichte der Frankfurter Schule
Geschichte der Frankfurter Schule
von Emil Walter-Busch

Samstag, 15. Juni 2024

Das ethische Konzept des Utilitarismus

Der Utilitarismus (lat. utilitas, Nutzen, Vorteil) ist eine Form der zweckorientierten (teleologischen) Ethik, die in verschiedenen Varianten auftritt. Auf eine klassische Grundformel reduziert besagt er, dass eine Handlung genau dann moralisch richtig ist, wenn sie den aggregierten Gesamtnutzen, d. h. die Summe des Wohlergehens aller Betroffenen, maximiert. Neben der Ethik ist der Utilitarismus auch in der Sozialphilosophie und den Wirtschaftswissenschaften von Bedeutung.


Der Utilitarismus fordert das Glück der größten Zahl.

Das ethische Konzept des Utilitarismus ist eine der bekanntesten überhaupt. Der Utilitarismus ist eine normative Theorie zur moralischen Bewertung von Handlungen. In einer einfachen Formulierung lautet das utilitaristische Grundprinzip: »Handle so, dass die Folgen deiner Handlung bzw. Handlungsregeln für das Wohlergehen aller Betroffenen optimal sind.« Damit möchte der Utilitarismus ein Kriterium bereit stellen, mit dessen Hilfe Handlungen, Normen und Institutionen moralisch beurteilt werden können.


Handle so, dass die Folgen deiner Handlung bzw. Handlungsregeln
für das Wohlergehen aller Betroffenen optimal sind.

Seit seiner Entstehung im späten 18. Jahrhundert hat der Utilitarismus eine starke Ausdifferenzierung erfahren. Insbesondere im anglo-amerikanischen Raum haben sich zahlreiche Spielarten des Utilitarismus entwickelt. So sollte man heute nicht mehr von dem Utilitarismus als homogene Theorie sprechen, sondern eher vom „Utilitarismus“ als Überbegriff eines ganzen Bündels unterschiedlicher Theorieansätze. Dennoch lassen sich einige Prinzipien festhalten, die allen utilitaristischen Ansätzen gemein sind.

Als Begründer des klassischen Utilitarismus gelten Jeremy Bentham (1748-1832) und John Stuart Mill (1806-1873). In seiner Schrift „Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und Gesetzgebung“ (1789) stellt Bentham den Utilitarismus erstmals in einer systematischen Form vor.

Utilitarianism / Der Utilitarismus
Utilitarianism / Der Utilitarismus

Mills Verteidigung der utilitaristischen Theorie, dass die Beförderung des allgemeinen Glücks das erste und einzige Kriterium des moralischen Handelns sei, gehört zu den am häufigsten diskutierten, aber auch zu den am häufigsten kritisierten moralphilosophischen Werken.

Als Rechtswissenschaftler und Nationalökonom war Bentham insbesondere daran gelegen die gesellschaftlichen Institutionen und die Rechtsordnung in Großbritannien zu verbessern und nach gerechteren Maßstäben auszurichten. Mill griff seine Ideen in »Der Utilitarismus« (1863) auf und modifiziert sie so, dass sie der sofort entstandenen Kritik besser standhalten können.

Die goldene Regel: Der Utilitarismus muss zwischen eigenem und dem Glück anderer entscheiden. Das Glück des Einzelnen muss aber weitgehend mit dem Interesse der Gemeinschaft einher gehen. Behandle dabei andere so, wie du selbst behandelt werden willst.

Die richtige Bestimmung des größten Glücks setzt die Freiheit der Meinungsäußerung (Pressefreiheit, Freiheit der Wissenschaft etc.) voraus.

Diese freiheitliche Version des Utilitarismus findet sich auch in der politischen Philosophie Bertrand Russells (1872–1970) wieder.

Dem Utillitarismus entgegengesetzt ist die »Ethik der Pflicht« Kants, bei der es nicht auf die Folgen des Tuns ankommt, sondern daß die Taten gut sind und dem moralischen Gesetz sowie dem »Kategorischen Imperativ« entsprechen.


Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich
als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.


Weblink:

Alles über der Utilitarismus - Utilitarismus-Portal - utilitarismus.com


Literatur:

Utilitarianism / Der Utilitarismus
Utilitarianism /Der Utilitarismus
von John Stuart Mill und Dieter Birnbacher

Einführung in die utilitaristische Ethik: Klassische und zeitgenössische Texte
Einführung in die utilitaristische Ethik: Klassische und zeitgenössische Texte
von von Otfried Höffe

Samstag, 16. September 2023

»Umwertung aller Werte« von Friedrich Nietzsche

Die »Umwertung aller Werte« ist ein von Friedrich Nietzsche geprägtes Schlagwort, ein schöpferischer Gedanke seines Spätwerkes und ein zentraler Begriff seiner Philosophie und Moralkritik.

»Umwertung aller Werte« von F. Nietzsche geprägte Formel, mit der er einen Akt »höchster Selbstbesinnung der Menschheit« verbindet. Angesichts des von ihm behaupteten allgemeinen Kulturniedergangs und der Entwertung aller Ideale kritisierte er alle Versuche einer an den traditionellen Werten orientierten neuen Sinngebung. Er forderte, statt in solchem »unvollständigen Nihilismus« steckenzubleiben, das Prinzip der Wertsetzung zu ändern. »Wert« bemisst sich für ihn an den »Erhaltungs- und Steigerungsbedingungen« des Lebens, wie sie im Geltungsstreben starker Individuen zum Ausdruck kommen und in denen sich der »Wille zur Macht« seine eigenen Ziele setzt.

Der Ausdruck für eine neue, gegensätzliche Bewertung bisheriger Wertvorstellungen stammt aus der Philosophie Friedrich Nietzsches (1844-1900) und bezieht sich dort auf die geforderte Ersetzung christlich-abendländischer Werte durch vorchristlich-archaische Tugenden. Damit sollte in einem »Akt höchster Selbstbesinnung der Menschheit« der Nihilismus aus der Einsicht in die mangelnde Objektivität aller bisherigen Sinngebung überwunden werden. Das geplante Werk »Der Wille zur Macht« sollte den Untertitel »Versuch einer Umwertung aller Werte« tragen. Der Titel seines geplanten Spätwerkes, das nicht mehr vollendet wurde und Fragment geblieben ist.

Die Verwendung von »Umwertung aller Werte« als Untertitel zu »Der Antichrist« und zu der Kompilation eines Nachlassteiles zu dem Buch »Der Wille zur Macht« (1906).

In der Zeit des Nationalsozialismus hat Friedrich Würzbach, damaliger Präsident der bis 1943 bestehenden Nietzsche-Gesellschaft, im Jahr 1940 eine erweiterte Zusammenstellung von Texten des Nachlasses von Nietzsche mit 2.397 Aphorismen unter dem Titel »Das Vermächtnis Friedrich Nietzsches. Versuch einer Auslegung allen Geschehens und einer Umwertung aller Werte« herausgegeben. Diese Ausgabe wurde 1969 und 1977 erneut aufgelegt. Sie ist seit Erscheinen der Kritischen Gesamtausgabe hinfällig.

Schon im Jahr 1883 fühlte die bisher unbewußte und ungewollte Zusammenghörigkeit seiner Werke. »Die durchgehende unbewußte Gedanken-Kongruenz und -Zusammengehörigkeit in der bunt geschichteten Masse meiner neueren Bücher hat mein Erstaunen erregt: man kann von sich nicht los, deshalb soll man es wagen, sich weithin ghen zu lassen.« Das Jahr 1886 ist entscheidend hierfür. Fast alle vorherigen Werke werden mit neuen Vorreden versehen und in einen einzigen Zusammenhang gebracht - sie werden hineingezogen in jene schwingende Bahn um jenes eine Zentrum. Seite 32 Ende 1887 fühlte er, daß die Stunde der Ausführung gekommen ist. Er schrieb am 2. Dezember 1887 an Gersdorff: »In einem bedeutenden Sinn steht mein Leben jetzt wie im vollen Mittag: eine Tür schließt sich, eine andere tut sich auf. Was ich nur in dne letzten Jahren getan habe, war ein Abrechnene, Zusammenaddieren von Vergangenem, ich bin mit Mensch und Ding nachgerade fertig geworden und habe einen Strich daruner gezogen.«

Literatur:

Der Wille zur Macht: Versuch einer Umwertung aller Werte Banduch I & II
Der Wille zur Macht: Versuch einer Umwertung aller Werte Banduch I & II

Samstag, 8. Juli 2023

Mythos »Tour de France«

Tour de France Tourmalet

Die »Tour de France« - auch »Grand Boucle« genannt - ist das bekannteste und bedeutendste Radrennen der Welt. Die »Tour de France« ist ein gewobener Mythos, der viele Geschichten hervorgebracht hat und von dem zu erzählen lohnt! Die »Tour de France« hat Geschichte und auch ihre Geschichten geschrieben, ebenso wie die Rennfahrer, die an ihr teilgenommen haben.

Tour de France Karte 2022

Die Rennfahrer sind Helden, die Streckenführung ist eine Bildungs- und Entdeckungsreise mit ständigen Verweisen auf die französische und europäische Geschichte.

Körperliche Höchstleistungen müssen keineswegs im Widerspruch zu intellektuellen Ambitionen stehen. Denn auch und gerade im (Radrenn-)Sport gilt der Leitsatz, den einst Henri Bergson formulierte, der französische Philosoph und Literaturnobelpreisträger: »Man muss wie ein denkender Mensch handeln und wie ein handelnder Mensch denken.«

Immer wieder haben sich Philosophen wie Roland Barthes, Olivier Haralambon und Peter Sloterdijk bis hin zu Guillaume Martin sich für die berühmte drei-wöchige Radrundfahrt durch ganz Frankreich interessiert und darüber ihre Artikel, Kolummnen und Kommentare geschrieben.

Peter Sloterdijk

Man begreift, dass das, was diese Männer leisten, alles übersteigt, was Normalsterbliche begreifen können“, sagte der Hobbyradler und Philosoph Peter Sloterdijk vor Jahren gegenüber dem »Spiegel«, „nämlich der »Tour de France« alles unterzuordnen, alles zu riskieren, rücksichtslos – sich selbst gegenüber, dem Leben.“



Die Rennfahrer sind die wahren Helden der »Tour de France«. Die »Tour de France« hat viele Rennfahrer, die an ihr teilgenommen haben, zu Helden gemacht, aber auch immer wieder Tragödien heraufbeschworen und hervorgebracht.

Guillaume Martin

In »Sokrates auf dem Rennrad« schickt Guillaume Martin die bedeutendsten Denker der Geschichte in das größte Radrennen der Welt: die »Tour de France«.

Es war der Mont Ventoux, der den Briten Tom Simpson im Jahr 1967 beim Anstieg in der brütenden Hitze einen jammervollen Tod sterben ließ, manche sagen soagr umgebrachte hat. "Der Ventoux ist ein Gott der Bosheit, dem Opfer dargebracht werden müssen. Er vergibt niemals Schwäche, er fordert ein schier ungerechtes Maß an Leiden", schrieb der normannische Philosoph Roland Barthes bereits im Jahr 1957, als hätte er das tragische Schicksal Simpsons schon damals vorausgeahnt.

Tour de France Karte 2022


Samstag, 10. September 2022

»Der eindimensionale Mensch« von Herbert Marcuse


Der eindimensionale Mensch

»Der eindimensionale Mensch« von Herbert Marcuse ist ein Klassiker der Kritischen Theorie und ein Standardwerk der 68er-Generation. Konsumkritik, Kapitalismuskritik, Sprachkritik, - ein Klassiker der politischen Philosophie meldet sich zu Wort,


Herbert Marcuse (1898-1979) beschreibt eine Gesellschaft, die immer mehr gleichgeschaltet wird durch Massenkommunikation, -transport, -produktion und -konsum. Die Menschen werden dazu gebracht, einheitlich und damit eindimensional zu denken. "Wir sind eine Gesellschaft ohne wirkliche Opposition".

Durch dieses Denken würden die Absurditäten unserer Gesellschaft verdeckt, u.a. würden die Menschen "in Einklang mit der Reklame" durch den im kapitalistischen System erzeugten steten Wettbewerb und Wettrüsten zu Höchstleistungen gebracht - obwohl diese Umstände letztlich dem Einzelnen schaden. "Im Hinblick darauf, was unser fortgeschrittener Lebensstandard an Mensch und Natur vollbracht hat, ist die Frage zu stellen, ob er der Opfer wert war, die seiner Verteidigung erbracht werden".

Das Buch stammt aus dem Jahr 1964, das atomare Wettrüsten und die sprachliche Vertauschung von 'Freiheit' mit 'Unfreiheit' im kapitalistischen Produktionsprozess der Konzerne waren Tagesgespräch, und das Buch war eine der argumentativen Grundlagen der 68er-Bewegung. Die Situation ist unverändert aktuell angesichts der aktuellen Bedrohung durch den Terrorismus und der Globalisierungsdiskussion. Als Ausweg propagierte Marcuse letztlich die Verweigerung des Systems, wenngleich das im Buch kaum ersichtlich ist.

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Wesentliches Mittel zur gedanklichen Gleichschaltung ist laut Marcuse die Sprache, und so widmet er den Großteil seines Werkes der Sprachanalytik - Richtung Orwellschem Neusprech - sowie der Wahrnehmung. Dazu bedient er sich reichlicher Zitate querbeet aus der Philosophie angefangen von den Altgriechen bis hin zu den jüngeren Franzosen. FAZIT: Marcuses Analysen erfolgen auf - vermeintlich - höchstem Niveau, und das ist hier negativ gemeint. Die Ausführungen sind sehr unzugänglich und nur mühsam nachvollziehbar. Das muss nicht sein. Der Umschlagtext (meiner Ausgabe) wundert sich noch, weshalb sich "nur Intellektuelle und Randgruppen" für das Thema interessierten: letztlich erreicht Marcuse nicht sein Ziel, der breiten Masse der Menschen ihre Einseitigkeit, Steuerbarkeit und Widersprüchlichkeit zu verdeutlichen.


"Die gegenwärtige industrielle Zivilisation beweist, daß sie die Stufe erreicht hat, auf der die freie Gesellschaft in den traditionellen Begriffen ökonomischer, politischer, und geistiger Freiheit nicht mehr angemessen bestimmt werden kann; nicht weil diese Freiheiten bedeutungslos geworden sind, sondern weil sie zu bedeutsam sind, um auf die traditionellen Formen begrenzt zu bleiben. Entsprechend den neuen Fähigkeiten der Gesellschaft bedarf es neue Weisen der Verwirklichung."

Herbert Marcuse, »Der eindimensionale Mensch«


Der Ansatz ist sehr interessant und in seiner inhaltlichen Tiefe, sowie der Breite vorangegangener Denker, auf die sich der Autor bezieht, sicher einzigartig. Aber die Struktur ist einfach überkomplex und nicht mal für einen Studenten der Philosophie und Politikwissenschaft, der meint, Hegel zu einem Gutteil verstanden zu haben, in Gänze nachvollziehbar. Der einfache Arbeiter, also letztlich die gesellschaftliche Mehrheit wird niemals einen Zugang zu den faszinierenden Ansätzen bekommen, die Marcuse uns hier darlegt. Eine Kampfschrift gegen bestehende Probleme muss immer auch eine praktische Anleitung sein und darf sich nie im scheinbar unendlichen Kosmos der Worte und Ideen verlieren.

Literatur:

Der eindimensionale Mensch
»Der eindimensionale Mensch«
von Herbert Marcuse

Der eindimensionale Mensch
»Der eindimensionale Mensch«
von Herbert Marcuse

Samstag, 13. November 2021

»Der Mensch in der Revolte« von Albert Camus

Der Mensch in der Revolte
Der Mensch in der Revolte

In seinem 1951 erschienenen zweiten philosophischen Hauptwerk »Der Mensch in der Revolte« bewegt sich Camus wiederum im Grenzland zwischen Literatur, Geschichte und Philosophie.

»Der Mensch in der Revolte« von Albert Camus ist eine Essay-Sammlung seiner grundlegenden Ideen und Thesen. Diese Sammlung von Essays gleicht einer Parforcejagd durch die Ideengeschichte der Moderne, durch die aus Geschichtsphilosophien aller Spielarten hervorgegangenen politischen Theorien und Praxen. Albert Camus entdeckt hier untergründige Verwandtschaften zwischen scheinbar gegensätzlichen Ideologien; er spitzt die einzelnen Theorien und politischen Strategien bis zum Selbstwiderspruch zu und widerlegt eingefahrene Interpretationen.

Albert Camus

Albert Camus setzt seine Überlegungen über die Absurdität und dem Mord mit seinem Werk »Menschen in der Revolte« fort. - Was treibt den Menschen in die Revolte? Die Revolte ist die Unvernunft und das Unverständnis über das menschliche Leben. Er versucht den Mord aus philosophischen Überlegungen zu Rechtfertigen und diesen zu überprüfen. Zuerst beschreibt er die metaphysische Revolte.

Der Revoltierende ist jemand, der nein sagt zu den bestehenden Verhältnissen. Er kämpft für seine Unversehrtheit. Die metaphysische Revolte ist der Tausch zwischen dem Regime der Gnade und dem der Gerechtigkeit. Camus beschreibt die Negation Gottes an den Beispielen von Marquis de Sade, John Milton, Iwan Karamasow und Nietzsche. Der Revoltierende setzt sich mit Gott gleich. Daraus folgt, dass er eine neue Weltordnung entdecken muss. Als logische Folge beschreibt er nach der metaphysischen Revolte die historische Revolte.


Der Mensch in der Revolte


Zu Beginn war die Revolte eine Loslösung aus der Knechtschaft. Der Sklave wollte die Gleichheit mit seinem Herrn und damit dieselben Rechte haben. Erst die französische Revolution wollte den Bürger als Souverän des Staates haben. Danach war Hegel für die Sozialisten das Maß der Dinge. Seine Dialekt von Herr und Knecht wurde von ihnen bereitwillig aufgenommen. Der individuelle Terrorismus der russischen Nihilisten sorgt in Russland für Chaos und Revolte. Für sie war der Tod der höchste Protest. Camus zeigt, dass jeder politische Umsturz durch ein neues Gewaltsystem ersetzt wurde. Dieser Terror fand mit dem dritten Reich und den sowjetischen Konzentrationslager seinen Höhepunkt.

"Was ist ein Mensch in der Revolte?
Ein Mensch, der nein sagt. Aber wenn er ablehnt, verzichtet er doch nicht,
er ist auch ein Mensch, der ja sagt aus erster Regung heraus."

Albert Camus aus: »Der Mensch in der Revolte«

Camus beantwortet seine anfängliche Frage damit, dass das Töten mit der Revolte nicht vereinbar ist. Die Freiheit des Revoltierenden endet bei der Freiheit des anderen Menschen. Die Revolte negiert die Revolution, da sie die Gewalt annimmt. Die Revolte macht der vollständigen Freiheit den Prozess. Sein Fazit lautet, dass der Mord keiner Rechtfertigung bedarf.

Jean-Paul Sartre nahm Camus »Der Werk den Mensch in der Revolte« zum Anlass zur Kritik. Er kritisiertedie unterschiedliche Auffassung in Bezug auf Hegel und Marx. Camus endete mit der Überlegung, dass man in einer hellenistischen Gesellschaft leben sollte. Für Jean-Paul Sartre hat das menschliche Sein immer mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu tun. Er fordert Engagement in der Situation, dieses bedeutet, sich auf die Zukunft hin zu entwerfen. Das vermisste er bei Camus.

In Camus' umstrittenem Werk, wegen dem sich sein langjähriger Freund Jean-Paul Sartre von ihm abwandte, vertritt er die Überzeugung, dass die gesamte Periode nach der französischen Revolution durch den Nihilismus geprägt wurde und ihn bis heute nicht überwunden hat.

Zur Unterstützung seiner Thesen führt Camus exemplarisch die zwei politischen Hauptströmungen des 20. Jahrhunderts und schließlich deren Scheitern im Nihilismus an. Zum einen den Nationalismus, der durch den "Nerobefehl" in den letzten Zügen des Dritten Reichs, den einzigen Wert, den der Rasse, verleugnete. Zum anderen den Kommunismus, der mit seiner angeblichen Liebe zum zukünftigen sozialistischen Menschen, die schlimmsten Verbrechen rechtfertigte. So unterschieden sich der sowjetische Gulag und die Konzentrationslager der Nazis nur durch theoretische Überlegungen, nicht aber in der Konsequenz.

Camus entzieht sich den Dogmen der Extreme und versucht, das in unserer Zeit verloren gegangene Maß wiederzufinden. Er relativiert, indem er eines nicht relativiert, und zwar den Wert des Lebens. Er versucht dem Leben wieder einen schöpferischen Wert zu geben, doch nicht durch Religion, sondern durch Rückbesinnung auf die menschliche Schöpferkraft, dem Menschen als Künstler. Aber auch als Politiker, der in der Revolte sein Ausdrucksmaß gegen die Ungerechtigkeit in der Welt findet, aber deshalb nicht zum Misanthrop und Massenmörder wird.

Camus ist dabei zu keiner Zeit naiv, denn er weiß, dass es zu allen Zeiten Leid und Elend auf der Welt geben wird, und dass Iwan Karamasovs Schrei nach dem "Warum?" ewiglich durch die Geschichte der Menschheit hallen wird. Vielmehr versucht er Wege zu zeigen, um dieser Welt, trotz allem Leid und Elend, wieder einen Wert und eine Schönheit zu geben, die sie in unserer Zeit verloren zu haben scheint.

Albert Camus

Er wurde früh sehr stark vom französischen Existenzialismus und von dem Philosophen Jean-Paul Satre geprägt, dessen Bekanntschaft er 1944 machte. Der Existenzialismus entsprach einem Lebensgefühl, das von der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, des politischen Widerstands in der Résistance und des Zerfalls traditioneller Wertordnungen und Orientierungen geprägt ist. Es findet seinen Ausdruck in einer besonderen Sensibilität für die Absurdität der menschlichen Existenz, die für diese Generation von Philosophen charakteristisch ist.


Der Mensch in der Revolte


In den Nachkriegsjahren war er zusammen mit Jean-Paul Sartre - mit dem ihn kurze Zeit auch ein freundschaftliches Verhältnis verband - einer der Vordenker des Existentialismus. Sein bekanntestes philosophisches Werk aus dieser Zeit ist die Essay-Sammlung »Der Mensch in der Revolte« (1947-1951), die ihm neben viel Beifall auch vielerlei Polemik eintrug, nicht zuletzt die von Sartre, der ihm den Verrat linker Ideale vorwarf.

Sein literarisches Schaffen bewegt sich zwischen Dichtung und Essayistik auf der Grundlage einer Philosophie von der Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins und vom Versagen des Gewissens. Den Existenzialismus deutete er in eine Philosophie von der Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins.



Die Ausgangsposition von Camus atheistischer Weltanschauung lautet: Es gibt keinen Gott. Die Existenz des Menschen ist sinnlos. Was dem Einzelnen in dieser Situation bleibt, ist die Revolte. Die "permanente Revolte" sah er als Weg zur Überwindung des Absurden an. Der Mensch muss in der Lage sein, die Last der Sinnlosigkeit zu ertragen, Selbstverantwortung übernehmen und nach Glück streben. Nur so wird er Herr seines Schicksals und kann der die Absurdität des Lebens überwinden.

Literatur:

Der Mensch in der Revolte
Der Mensch in der Revolte
von Albert Camus


Weblinks:

Camus lebt - www.camus-lebt.de

Ich revoltiere, also leben wir - www.camus-lebt.de